Wege nach Maraskan
– von Josch
Zum Geleit
Wir bei Asboran schätzen uns glücklich, Teil derjenigen DSA-Spieler zu sein, die sich vom Setting Maraskan magisch angezogen fühlen. Wir wissen jedoch auch, dass es in den irdischen Weiten des Globus noch alte und neue DSA-ler gibt, die entweder nichts über Maraskan wissen, sich nicht dafür interessieren, nichts davon wissen wollen, oder aber trotz ernsthaften Versuchen keinen rechten Zugang zu diesem Teil Deres finden konnten. Das ist schade, und dem möchten wir mit einer voraussichtlich sechsteiligen Reihe entgegenwirken, die den Titel „Maraskan – Ein Reiseführer für neugierige Fremdijis“ trägt. Unser Ziel lautet, interessierten Maraskan-Neulingen und/oder Maraskan-Skeptikern die Schönheit des Settings sowie die zahlreichen Möglichkeiten für interessantes Rollenspiel, die sich hier bieten, schrittweise näher zu bringen.
Teil 1 und 2 der Reihe widmen sich den bislang erhältlichen Veröffentlichungen zu Maraskan, wobei Teil 1 einen Schwerpunkt auf diejenigen wirft, die sich besonders für den Einstieg in Maraskan eignen. Teil 3 wird sich den besonderen Stärken des Settings Maraskan widmen, Teil 4 potentiellen Missverständnissen und Teil 5 und 6 nach gegenwärtiger Planung konkreten Tipps für die Umsetzung Maraskans am Spieltisch. Auch für Wissende und Freunde Maraskans mag sich die Lektüre dieser Reihe übrigens lohnen, sofern sie nach weiterem Material suchen, um skeptischen Kommentaren wie „Wenn ich Fernost-Anleihen will, spiel‘ ich D&D!“, „Maraskaner sind mir zu durchgeknallt!“, „Da gibt es doch nur Ninjas und Dschungel!“ oder „Waren Maraskaner nicht die mit Nachteil Duales System?“ zu begegnen.
Übrigens: Nicht Teil dieses vierteiligen Reiseführers, aber sicher ein sinnvoller Begleiter bei der Lektüre, ist unser kleines Glossar „Maraskan in 64 Begriffen“, das an dieser Stelle für euch bereitliegt. Wir wünschen euch viel Spaß bei der Lektüre des Reiseführers und freuen uns über Feedback und Kommentare jeder Art.
Für ungeduldige Leser an dieser Stelle zuvor noch das Inhaltsverzeichnis von Teil I zur Schnellnavigation:
- Eine Vermutung
- Ein kleiner Blick in Maraskans irdische Historie
- Der erste kleine Weg
- Der zweite kleine Weg
- Der mittlere Weg
- Der große Weg
- Der gemeinsame Weg
Hinweis: Da die folgende Beschreibung an verschiedenen Stellen potentielle Spoiler enthält, wurden entsprechende Passagen verdeckt. Sie können jeweils per Klick aufgedeckt werden.
Eine Vermutung
Maraskan ist im wunderbaren DSA-Kosmos eine kleine Welt für sich, die so reichhaltig ist, dass man bis ans Ende der eigenen Tage darin spielen könnte. Zugespitzt formuliert, und ganz im Sinne Zendajians des Stillen, der das Prinzip der analogischen Erkenntnis formulierte: Maraskan verhält sich zu Aventurien wie Aventurien zum gesamten DSA-Multiversum.
Ich bin überzeugt: Wer sich ernsthaft und mit offenen Augen auf die Reise nach Maraskan begibt, um dessen Wunder, Herausforderungen, Eigenarten und Geschichten zu erleben, wird irgendwann unweigerlich der magischen Sogwirkung ausgesetzt, die von diesem Ort ausgeht. Jedoch ist es alles andere als einfach, den besten Weg auf die Insel zu finden. Wer etwa den naheliegenden Versuch unternimmt und die Beschreibung Maraskans in einer passenden Spielhilfe liest – sei es die knappe Beschreibung im Aventurischen Almanach oder die ausführliche in Schattenlande –, bekommt zwar vermutlich ein vages Gespür für die Eigenarten Maraskans, die es von anderen Rollenspielsettings unterscheiden. Es dürfte ihm oder ihr jedoch mitunter schwerfallen, den besonderen Reiz der dort vorgestellten Ideen zu erkennen, die auf den ersten und zweiten Blick eher skurril und absonderlich wirken mögen.
Ich vermute daher, dass Maraskan-Beschreibungen in Spielhilfen – ungeachtet ihrer Qualität – nicht die ideale Möglichkeit sind, um Maraskan kennenzulernen. Ein deutlich besserer Weg, so scheint mir, folgt der Entstehung des Settings selbst. Diesen Weg möchte ich im Weiteren zunächst vorstellen.
Ein kleiner Blick in Maraskans irdische Historie
Starten wir mit einem kleinen irdischen Rückblick. Nach der ersten Erwähnung im Abenteuer Ausbau Spiel von 1985 wurde Maraskan die nächsten neun Jahre zunächst recht stiefmütterlich behandelt, bis es in die Hände von Karl-Heinz Witzko übergeben wurde – zusammen mit dem damals ebenfalls unterbeschriebenen Nostria, was viele der noch heute sehr interessanten Verbindungen zwischen diesen beiden aventurischen Regionen irdisch erklärt. Witzko arbeitete Maraskan bis zu seinem Ausstieg aus der DSA-Redaktion mit überbordender Kreativität und unnachahmlichem Humor schrittweise aus, und vieles (wenn auch nicht alles) von dem, was Maraskan heute zu einem besonderen Kleinod in der Schatzkiste des Rollenspiels macht, verdankt sich seinem Wirken.
Im Unterschied zu vielen anderen aventurischen Regionen wurde Maraskan aber zunächst nicht durch eine Spielhilfe zum Leben erweckt, sondern in den beiden Gattungen, in denen Witzko als DSA-Autor meines Erachtens bis heute unerreicht ist: DSA-Roman und Solo-Abenteuer. Da Witzkos wichtigste DSA-Veröffentlichungen Stand Dezember 2016 digital verfügbar sind, bietet sich dem aufgeschlossenen Maraskan-Interessierten daher auch heute noch die Option, die Insel, ihre Bewohner sowie deren Lebensart und Weltsicht so kennenzulernen, wie dies auch die ersten DSA-Spieler taten, die sich in den 1990ern erstmals auf die Reise machten.
Es gibt vier verschiedene Möglichkeiten, auf dieser Grundlage Maraskan zu erkunden.
Der erste kleine Weg
Der erste Weg besteht darin, nur die Solo-Abenteuer von Witzko zu spielen, die einen direkten Maraskan-Bezug haben, die also entweder auf der Insel selbst spielen, oder aber den gespielten Helden in direkten Kontakt mit Maraskan bringen.
Straßenballade
Witzkos Einstand als Autor von Solo-Abenteuern führte gleich zu einem besonderen Exemplar dieses ehrwürdigen Genres. Gespickt mit zahlreichen Referenzen auf irdische Pop-Songs (die aber nie peinlich oder aufgesetzt wirken), handelt es sich um die aventurische Variante eines Road-Movies, die den Helden als Babysitter des jungen nostrischen Prinzen Kasparbald auf der Suche nach der verschollenen nostrischen Bardin Delusia Pernstein von Nostria bis nach Maraskan führt.
Achtung, Spoiler: Hiermit wird zugleich der Grundstein für Kasparbalds Maraskan-Affinität und seine Beziehung zu Milhibethjida gelegt.
Das Abenteuer zeichnet sich nicht nur durch den typischen und unnachahmlichen Witzko-Humor aus, sondern auch durch ein hohes Tempo – schließlich wird in kurzer Zeit viel Strecke zurückgelegt. Maraskan lernt man als Spieler in diesem Abenteuer durch die fremden Augen eines Uneingeweihten kennen, was eine schöne Entsprechung von Ingame- und Outgame-Perspektive mit sich bringt. Für mich ist Straßenballade daher auch heute noch bestens geeignet für den maraskanischen Erstkontakt. Dass es zeitlich fix in 1011 BF verordnet ist, sollte dabei kein Hindernis sein, denn es lohnt sich auch, das Abenteuer mit einem extra hierfür generierten Helden zu spielen. Manchmal sind Spielfreude und neugewonnene Erkenntnisse wichtiger als später verwertbare Abenteuerpunkte.
Am Rande der Nacht & Die Ungeschlagenen
Ich lehne mich nun ein wenig über die Brüstung und behaupte: Diese beiden aufeinander aufbauenden Solo-Abenteuer sind bis heute die besten ihrer Art. Nicht weniger als zwei der wichtigsten Ereignisse der jüngeren maraskanischen Geschichte können hier direkt aus Spielerperspektive erfahren werden, da sie direkt mit dem Wirken des gespielten Helden zusammenhängen. Sie vermitteln die Grundlagen der maraskanischen Weltsicht schneller und besser, als jeder trockene Outgame-Text es jemals könnte.
Ganz nebenbei bilden sie auch noch einen Prolog zur Borbarad-Kampagne, der für mein Empfinden selbst das hervorragende Staub und Sterne (und erst recht das mittelmäßige Der Krieg der Magier) hinter sich lässt. Die beiden Solo-Abenteuer eignen sich hervorragend, um mit dem Charakter gespielt zu werden, den man bereits durch Straßenballade geführt hat. Man lasse sich übrigens nicht von gelegentlich geäußerten Ansichten verwirren, denen zufolge die Handlung der beiden Bände schwer nachvollziehbar oder gar wirr sei. Alles Schwätzbaquerei, wie mein Nachbar Perjin mit dem Hinkefuß zu sagen pflegt. Richtig ist vielmehr, dass viele Zusammenhänge der Abenteuer sich nicht allein aus der Handlungslogik im engeren Sinne ergeben, sondern auf eine tiefere Ebene verweisen, die sich aufgeschlossenen Lesern erst schrittweise eröffnet. Wenn man dieser Solo-Kampagne etwas vorwerfen kann, dann allein, dass einiges von dem, was in der eigentlichen Borbarad-Kampagne noch folgte, im Vergleich zu diesem Prolog recht blass blieb.
Bevor es weitergeht, möchte ich noch kurz auf ein potentielles Problem mit dem kleinen Weg nach Maraskan zu sprechen kommen. Bei den Solo-Abenteuern mag es so wirken, als seien diese nicht geeignet, um auch eine ganze Gruppe auf das spätere Spiel in Maraskan vorzubereiten, da nicht alle Spielerinnen und Spieler davon ausgehen können, dass ihr Spieler-Charakter die relevanten Ereignisse erlebt hat. Dieses Problem lässt sich leicht dadurch beheben, dass man für den Fall, dass sich eine ganze Gruppe auf das Spiel in Maraskan einstimmen möchte, vereinbart, dass jeder Spieler die Solo-Abenteuer mit demselben Helden spielt. Im eigenen Aventurien kann man dann davon ausgehen, dass eben dieser Spielcharakter alle wichtigen Ereignisse aus diesen Abenteuern erlebt und/oder angestoßen hat.
Der zweite kleine Weg
Der zweite kleine Weg führt über Witzkos sechs DSA-Romane.
Treibgut
Treibgut ist Witzkos Roman-Debüt für DSA, und auch wenn teilweise behauptet wird, dass sich seine Erzählkunst erst in späteren Werken entfaltete, muss ich dem entschieden widersprechen. Wer die mangelnde Einheitlichkeit der Handlung bemängelt, verkennt einerseits die schelmenromanartige Episodenstruktur der Erzählung, und andererseits die Einheit, die sich im Roman durch die Bezüge verschiedener Motive aufeinander ergibt. (Ja, das ist natürlich nur eine etwas prätentiöse Art zu sagen, dass die Dinge irgendwie zusammenhängen, aber vertraut mir: Wer mit offenen Augen und wachem Geist liest, wird diese Zusammenhänge entdecken.) Protagonist der Handlung ist der überraschend sympathische Auftragsmörder Scheïjian von Tarschoggyn, der in Diensten von Milhibethjida der Kindlichen bis ins ferne Nostria reist, um dort Spuren auf den Grund zu gehen, die ein nostrisches Portrait der Gegenwart mit den Draijschen der Heiligen Rollen der Beni Rurech verbinden. Klingt abgefahren? Ist es auch. Und an vielen Stellen vor allem sehr lustig. Insbesondere die Interaktionen von Scheïjian und einem Apothecarius in Neetha liefert meiner Ansicht nach einige der besten DSA-Dialogzeilen aller Zeiten. Anbei ein kleiner Vorgeschmack:
»Braucht man etwas gegen das nächtliche Gebeiß und Gestech, etwas gegen den magen-säuerlichen Gefährten des Trunks, oder will man der Damenschaft mit Wohlgeruch und glänzendem Haar gefallen?«
»Hat man vielleicht auch von der Grünen Kirsche?« fragte Scheijian.
»Da weiß man gar nicht, was der Herr meint«, entgegnete der Apotheker zurückhaltend.
»Man wird wohl nicht unreifes Obst meinen, sondern die Frucht des Shurinstrauchs.« Mit diesen Worten wurde Scheijian deutlicher.
Der Apotheker verschränkte die Arme vor der Brust.
»Hat man vielleicht einen zweiten Kopf, daß man sich einen abschneiden lassen kann, oder noch ein Leben in der Truhe, daß es einen nicht stört, eines im Kerker zu verbringen?«
Scheijian verdrehte die Augen. »Wird man wohl eigens aus Chorhop anreisen, nur um einen kleinen Giftmischer, der nicht darauf achtet, was aus seiner Tür herausriecht, den Bütteln zu ubergeben?«
»Spricht man vielleicht in Chorhop einen anderen Dialekt?« entgegnete der Apotheker ungerührt.
»Bezahlt man zum Ausgleich auch nicht mit gestrecktem Gold, sondern mit schweren Garether Dukaten?«
»Tut man das?«
»Man tut es.«
(Treibgut, S. 140-141).
Spuren im Schnee
Witzkos zweiter DSA-Roman spielt nur zu einem geringen Teil auf Maraskan, und zu großen Teilen in Gareth. Er ist von allen sechs Witzko-Romanen derjenige, der am ehesten verzichtbar ist, da er die schwächste Handlung aufweist und eher Figuren als Plotentwicklung ins Zentrum stellt. Das ist jedoch Jammern auf hohem Niveau. Wieder sehen wir in dieser Erzählung die Welt durch die maraskanischen Augen des mörderisch-sympathischen Scheïjian, der diesmal in geheimer Mission eine maraskanische Rebellengruppe nach Gareth begleitet, wo die Dinge dann in vielerlei Hinsicht aus dem Ruder laufen. Da das Autorenteam der Borbarad-Kampagne den Roman wohl nicht als kanonisch behandelte, ergab sich in der Folge leider ein kleiner Kontinuitätsfehler, der für Konsistenzfreunde aber leicht zu beheben ist. (Achtung, Spoiler: Parinor von Hableth sollte in der Kampagne durch einen Quitslinga ersetzt werden.) Vergnüglich liest sich der Roman aber allemal, und über maraskanische Denk- und Lebensart kann man auch fern der Heimat so einiges lernen, wenn man einem waschechten Maraskaner in den Geist und über die Schulter schaut.
Die Dajin-Trilogie – Tod eines Königs / Die beiden Herrscher / Die Königslarve
Diese Romane sind als Einheit konzipiert, und zahlreiche der wichtigsten Erzählstränge werden im dritten Band zusammengeführt. Ich lehne mich jetzt noch etwas weiter als zuvor über die schon oben bemühte Brüstung und behaupte: Diese Trilogie ist nicht nur das Beste, was an DSA-Romanen bislang veröffentlicht wurde, sie macht auch im Vergleich mit zeitgenössischer Fantasyliteratur eine gute Figur. Die drei Romane behandeln zum einen Szenen aus dem Leben von König Dajin VII. (in den Bänden I und II), und spielen zum anderen in der aventurische Gegenwart von 1018 BF (manche Kapitel aus Band I und Band II) und 1021 BF (Band III).
Gemeinsames Thema aller drei Romane ist der legendäre König selbst. Darüber hinaus wird ein großer Teil maraskanischer Vergangenheit beschrieben, es werden zahlreiche Pfade in die Zukunft ausgelegt sowie viele Handlungsstränge aus vorigen Romanen und Solo-Abenteuern aufgenommen oder weitergesponnen.
Wer verstehen möchte, warum Milhibethjida zu den wichtigsten Personen der maraskanischen Gegenwart gehört, weshalb Maraskan und Nostria nicht nur irdisch, sondern auch derisch viel verbindet, warum Dajin VII. die (!) Heiligengestalt der maraskanischen Geschichte ist, die man auch in Maru Zha in Ehren hält, und warum der Schmetterlingsmann nicht ohne Grund Angst und Schrecken verbreitet, der kommt an dieser Romantrilogie nicht vorbei.
Des Weiteren beweisen die drei Romane mit teils grotesk-gruseligen, teils ergreifenden und teils im besten Sinne tragischen Szenen sowie mit zahlreichen Spannungsbögen und unvorhergesehenen Wendungen, dass man Witzko als Autor massiv unterschätzt, wenn man ihn allein als Meister des Skurril-Komischen wahrnimmt. Ganz nebenbei enthält Tod eines Königs auch noch das beste DSA-Zitat aller Zeiten (»Wirst du mich wohl einlassen, Fischbrägen! Diese unleidigen Antipathien stechen mich noch tot!« Ingvalion Ornibio zur Wächterin Ramelusab während der Erstürmung des Palasts von Dajin I.). Was könnte man mehr wollen?
Westwärts, Geschuppte
Dieser Roman ist der seltsamste aller DSA-Romane, und zugleich der mit Abstand lustigste. Mir ist zu Ohren gekommen, dass manch einer diesen Humor zu speziell und nicht immer ganz aventurienkompatibel findet, aber darauf sollten aufgeschlossene Leser und Leserinnen nichts geben. Eine solche Haltung resultiert aus einen arg menschzentrierten Verständnisses der relevanten Hintergründe und aus dem Unwillen, sich auf die zentrale Frage einzulassen, die dem Roman seine innere Einheit verleiht: „Wie wäre es, ein intelligentes und äußerst kampferprobtes Krokodilwesen zu sein, das mit einigen Kumpanen die ihm unbekannte Welt der Menschen erforscht?“ Wenn auch mit einiger Zeitversetzung, führt der Roman fort, was bereits in der Dajin-Trilogie angelegt war. Eine Gruppe intelligenter Marus aus Maru Zha macht sich auf, um die Welt der Menschen gen Westen zu erkunden, getarnt mit mächtigen Illusionszaubern sowie ausgestattet mit schlagfertigen Kommentaren und noch schlagfertigeren Körperteilen. Auf ihrem Weg wird nicht nur Mirham aufgemischt und in Al’Anfas Slums für Ordnung gesorgt, sondern auch „Sagen oder Schlagen“ gespielt und sich gegenseitig unter Tränen versichert, einander nicht ungefressen sterben zu lassen. Klarerweise steht hier nicht mehr maraskanische Kultur im engeren Sinne im Vordergrund, sondern das Wesen der Bewohner Maru Zhas, aber da diese – wie jeder Leser der Dajin-Trilogie weiß – keine zu vernachlässigende Randgruppe der Insel sind, ist dieser spezielle Fokus des Romans sehr willkommen. Eine Erzählung, die mit den Worten „»Sie möchten nicht Kothaufen genannt werden!«, wies mich eine vertraute Stimme entgeistert zurecht.“ beginnt, kann sowieso nicht enttäuschen. Dass die geplante Fortsetzung des Romans nach Witzkos Abschied von der offiziellen DSA-Mitarbeit nicht mehr zustandekam, mag einerseits wie ein gewaltiges Übel erscheinen, könnte aber auch Teil der Erklärung sein, warum der Roman bis heute seinen besonderen Zauber entfalten kann. Ich zumindest finde es schwer zu sehen, wie die Höhepunkte dieses Bandes noch überboten hätten werden können.
Der mittlere Weg
Was Witzkos Arbeiten für Maraskan und Nostria so besonders macht, ist nicht nur die Tatsache, dass es ihm gelungen ist, seine aventurischen Settings unverwechselbar und reichhaltig zu gestalten, sondern auch die Art und Weise, wie verschiedene seiner Veröffentlichungen ineinander greifen und aufeinander aufbauen. Dies gilt nicht nur innerhalb der Gattungen Solo-Abenteuer und Roman, sondern auch für deren Querverbindungen. Wer Straßenballade und Am Rande der Nacht/Die Ungeschlagenen gespielt hat, wird viele Anspielungen und Verbindungen in Treibgut und in Teilen der Dajin-Trilogie entdecken, die anderen Lesern entgehen. Von daher ist der mittlere Weg besonders zu empfehlen, bei dem sowohl die Solo-Abenteuer als auch die Romane in der richtigen Reihenfolge gelesen werden. Diese lautet wie folgt:
- Straßenballade (1011 BF)
- Am Rande der Nacht (1014 BF)
- Die Ungeschlagenen (1015 BF)
- Treibgut (1016/1017 BF)
- Spuren im Schnee (1018 BF)
- Dajin-Trilogie I: Tod eines Königs (771-807 BF)
- Dajin-Trilogie II: Die beiden Herrscher (808-811 BF)
- Dajin-Trilogie III: Die Königslarve (1021 BF)
- Westwärts, Geschuppte! (1023 BF)
Abschließend noch ein Hinweis auf eine kleine Gefahr, die mit dem zweiten kleinen und mit dem mittleren Weg einhergeht: Die Romane beinhalten ein nicht unerhebliches Spoiler-Potential, da hier einige Geheimnisse Maraskans thematisiert werden, die man als Spieler womöglich selbst irgendwann lüften möchte. Wer solche Spoiler problematisch findet, dem empfehle ich, auf die Dajin-Trilogie zu verzichten, da diese am meisten heikle Informationen enthält. Die wichtigsten davon gibt es in Band III, so dass man auch nur auf diesen verzichten kann, zumal Band I und II gemeinsam zumindest eine weitgehend abgeschlossene Handlung ergeben.
Der große Weg
Der große Weg beinhaltet den mittleren, ergänzt um die Lektüre des Maraskanteils aus Schattenlande. Die Beschreibung Maraskans in diesem Band ist ausführlich und gründlich recherchiert, und sie nimmt viele Witzko-Ideen liebevoll auf und/oder spinnt sie weiter. Kein Wunder, schließlich zeichnet mit Bruderschwester Michael Masberg ein Autor verantwortlich, der sich in der post-Witzko Ära besonders um das Benisabayad (= die Gemeinschaft aller Maraskaner) verdient gemacht hat hat. Die Darstellung Maraskans in Schattenlande bietet eine auch anno 2016 noch hinreichend aktuelle Beschreibung, inkl. Ausblick auf die nähere Zukunft. Kurzum: Hier wird ein sehr guter und detaillierter Überblick über das gegenwärtige Maraskan geboten, den man nach Lektüre der Solo-Abenteuer und Romane von Witzko umso mehr zu schätzen weiß.
Der gemeinsame Weg
Auch wenn die bislang beschriebenen Solo-Abenteuer und Romane den meines Erachtens besten Weg nach Maraskan bieten, sind sie nicht die einzige schöne Alternative zur Lektüre von Spielhilfentexten. Wer als Spielleiter bereits maraskanisiert wurde und jetzt seine Gruppe für Maraskan begeistern möchte, kann dies auch über Gruppen-Abenteuer erreichen – am besten natürlich durch solche, in denen nicht-maraskanische Helden mit maraskanischer Lebensart und/oder der Insel selbst in Kontakt kommen. Von den offiziellen Abenteuern mit Maraskanbezug sind hierfür drei besonders zu empfehlen, die ich im Rest dieses Artikels beschreibe.
Die Überlegenen – aus der Anthologie Bienenschwarm und Diskusflug
Dieses Gruppenabenteuer von Michael Masberg bietet die ideale Gelegenheit für den maraskanischen Erstkontakt, auch wenn es nicht auf Maraskan selbst spielt, sondern in Mhanadistan. Hier können die Helden dem Wanderpriester Frumold begegnen – der später in der maraskanischen Geschichte noch eine wichtige Rolle spielen wird – und ihn auf seiner Suche nach einem Artefakt begleiten, das im 88. Draijsch der Heiligen Rollen der Beni Rurech beschrieben wird. Hierbei werden sie dann in kurzer Zeit mit einer gehörigen Dosis maraskanischer Weltsicht konfrontiert. Der Plot des Abenteuers selbst ist zwar aufgrund der geringen Seitenzahl teilweise nur skizziert, lässt sich aber ohne allzu viel Aufwand mit Leben füllen. Das Ende des Abenteuers hält zudem eine derart ungewöhnliche Wendung parat, dass Spieler noch lange davon berichten werden. [Achtung, Spoiler: Die Spieler erleben das Finale in Ameisen-Gestalt.] Obwohl es im staubigen Mhanadistan spielt, ist Die Überlegenen genau so bunt und vielfältig, wie es zu Maraskan passt, und damit ein idealer maraskanischer Erstkontakt für ganze Spielgruppen. Zeitlich ist es aufgrund der Gestalt Frumolds an die Zeit vor der Befreiung Borans (1033 BF) gebunden, wenn man den Priester durch eine andere Person ersetzt, lässt es sich aber auch auf einen späteren Zeitpunkt verlegen. Einziger Nachteil dieses Abenteuers: Es ist bislang nicht als PDF verfügbar. Hoffentlich ändert sich das bald.
Der Baum und das Mädchen – aus der Anthologie Märchenwälder, Zauberflüsse
Die Handlung dieses Abenteuers von Michael Masberg, das auf der Insel selbst spielt, ist gleichermaßen bunt-märchenhaft wie grotesk-gruselig. Stadt, Dorf und Dschungel kommen gleichermaßen zum Zuge, so dass sich viel Maraskanflair im kleinen Rahmen vermitteln lässt. Die Aufgabe der Helden ist folgende: Achtung, Spoiler Sie müssen einem toten Mädchen helfen, dessen Seele nicht in den Kreislauf der Wiedergeburt gelangen konnte. Hierbei müssen sie den legendären Baum des Lebens suchen. Das Abenteuer erfordert von Spielern keinerlei besondere Maraskan-Vorkenntnisse und lässt sich daher auch problemlos mit nicht-maraskanischen Helden spielen. Zeitlich ist es zudem flexibel einsetzbar. Einziger Nachteil auch hier: Bislang ist das Abenteuer nicht als PDF verfügbar.
Goldene Flügel
Das Thema des Abenteuers erlangt im Lichte des Sternenfalls besondere Aktualität (Achtung, Spoiler: der Namenlose und sein Wirken auf Maraskan). Doch auch abgesehen davon ist der Plot reizvoll, spannend, vielseitig und für Maraskan-Neulinge gut geeignet, da er sowohl mit maraskanischen als auch mit noch nicht-maraskanisierten Helden gut zu spielen ist (der Einstieg erfolgt in Khunchom) und beinahe alles enthält, was Maraskan auszeichnet: Philosophie, Sekten, Religion, Dschungel, düstere Bedrohungen, und als besonderes Highlight: Achtung, Spoiler den Maran – oder, wie er bei den meisten Maraskanern bekannt ist, die bereits einmal das Vergnügen mit diesem Wesen hatten: Der Unsägliche Vogel bzw. Die Rote Plage bzw. Das-Biest-dem-man-den-Hals-rumdrehen-sollte. Ein weiterer Vorteil: Mit 52 Seiten ist das Abenteuer ordentlich ausgearbeitet, und es ist auch – Trommelwirkel – als PDF erhältlich. Übrigens: Auch Goldene Flügel wurde von Michael Masberg verfasst. Dass Bruderschwester Masberjian sich in dunklen Zeiten besonders um das Benisabayad verdient gemacht hat, erwähnte ich bereits.
Obwohl sich die Suche nach Gebrauchtexemplaren der beiden anderen genannten Abenteuer definitiv lohnt, eignet sich Goldene Flügel auch für sich allein, um Helden eine famose maraskanische Erstbegegnung zu ermöglichen. Sofern es einem jedoch gelingen sollte, alle drei genannten Gruppen-Abenteuer zu erwerben, empfehle ich die folgende Ereignis-Reihenfolge:
- Die Überlegenen, wo die Helden in Mhanadistan erstmals mit Frumold und mit maraskanischer Weltsicht in Kontakt geraten.
- Der Einstieg in Goldene Flügel in Khunchom: Hier erhalten die Helden den Auftrag, einen wichtigen Gegenstand in ein Kloster auf Maraskan zu bringen.
- Auf dem Weg zu diesem Kloster lässt sich auf Maraskan dann Der Baum und das Mädchen als Abenteuer im Abenteuer einbauen.
Falls sich nun jemand fragen sollte, ob ich in meiner bisherigen Auflistung etwa Jenseits des Lichts vergessen habe, so möchte ich ihn oder sie beruhigen. Das habe ich nicht. Ich halte Jenseits des Lichts für eines der besten (und herausforderndsten) DSA-Abenteuer aller Zeiten, aber nicht für eines, mit dem man den maraskanischen Erstkontakt für die eigene Gruppe suchen sollte. Auf dieses Abenteuer gehe ich daher im zweiten Teil des Reiseführers für neugierige Fremdijis ein, in dem ich weitere offizielle und inoffizielle Veröffentlichungen zu Maraskan vorstelle, die man als Maraskanfreund in spe kennen sollte.
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