Manchmal berührt einen der Tod von Personen, die man persönlich gar nicht kannte, deutlich stärker, als man sich vorher hätte vorstellen können. Als ich vor all den Jahren den Aventurischen Boten Nr. 67 mit der Nachricht von Ulrich Kiesows Tod in den Händen hielt, starrte ich längere Zeit perplex auf die Titelseite. Ich war Ulrich Kiesow nie begegnet und kannte ihn nur durch seine zahlreichen Texte, aber dass der Autor, dessen Name für mich fast gleichbedeutend mit meinem Lieblingshobby geworden war, plötzlich nicht mehr da sein sollte, machte mir doch zu schaffen. Auf eine schwer zu erklärende Weise hatte ich über die Jahre hinweg das Gefühl gewonnen, der mir eigentlich unbekannten Person über die gemeinsame Faszination an einer fiktiven Welt dennoch nahe gewesen zu sein.
Ähnlich ging es mir, als ich erfuhr, dass unsere Bruderschwester Ralf Hlawatsch von uns gegangen ist und nicht mehr unter uns weilt. Auch ihm bin ich nie persönlich begegnet, und ich war daher überrascht, wie traurig mich die Nachricht von seinem Tod machte. Im Unterschied zu Ulrich Kiesow und auch zum ebenfalls kürzlich verstorbenen Jörg Raddatz verbindet man den Namen „Ralf Hlawatsch“ nicht unbedingt mit den ganz großen DSA-Projekten. Wenn ich mir aber meine Liste der Lieblings-DSA-Abenteuer vor Augen führe, dann ist Ralf dort gleich zwei Mal als Autor vertreten: Einmal mit dem herrlich grotesken Nurinais Ring (ausführlich gewürdigt habe ich dieses geniale Abenteuer hier), einmal mit dem stimmungsvollen und phantastisch-faszinierenden Wildnis-Trip In Liskas Fängen.
Wer ein wenig im Limbus recherchiert, wird vielleicht erstaunt sein, wie vielseitig die Beiträge von Ralf waren. Er hat nicht nur m.W. mehr Solo-Abenteuer als jeder andere DSA-Autor geschrieben, sondern auch zu zahlreichen Publikationen Texte und Karten (inkl. Jergan) beigesteuert. Seine Aventurienkarte fand noch in Roman Nr. 154 Verwendung, so dass für mich der Zusatz „Aventurienkarte: Ralf Hlawatsch“ nach all den Jahren fester Bestandteil des Roman-Impressums geworden war. Wie man Karl-Heinz Witzkos Erinnerungspost auf Facebook entnehmen kann, war Ralf Hlawatsch zudem ein sehr gründlicher Lektor, wie z.B. im Fall von Tod eines Königs.
Nicht alles, was Ralf als Autor anfasste, war Gold oder fand uneingeschränkten Beifall. Sein mitunter betont altschuliger Stil als Autor von Solo-Abenteuern, bei denen man als Leser immer recht spöttisch behandelt wurde und hinter fast jeder Ecke das unbeabsichtigte Ende lauern konnte, dürfte manchen Leser (mich allerdings nicht) auf die Palme gebracht haben. Und spätestens mit dem grandios gescheiterten (und streckenweise dennoch grandiosen) Tal der Finsternis zeigte sich, dass sich DSA mitsamt seinem Metaplot auf eine Weise entwickelte, zu dem Ralf Hlawatschs Abenteuer- und Aventurienverständnis teils nur noch eingeschränkt zu passen schienen. Wo Ralfs Texte gut waren, da waren sie aber meist richtig gut, und wo sein Humor zündete, da wurde es oft ein wahres Feuerwerk.
Der Tod von Ralf Hlawatsch machte mir einmal mehr deutlich, dass die für mich goldene DSA-Epoche, die in meiner Erinnerung trotz Zufriedenheit mit dem aktuellen Stand der Dinge immer einen herausragenden Stellenwert haben wird, unwiederbringlich vorüber ist. Derlei Trauer verblasst aber natürlich im Lichte des Verlusts, den der Tod eines geliebten Menschen für Freunde und Angehörige bedeutet. Mögen sie die Kraft finden, die es braucht, um den Verlust zu verarbeiten. Und mögen DSA-Spieler/innen aller Editionen und aller Vorlieben sich stets des reichen Vermächtnisses von Ralf Hlawatsch erfreuen, auch dann, wenn ihr Charakter von ihm in einem Solo-Abenteuer ins Verderben geschickt wurde oder ihr Spielleiter sie zwingt, sich den musikalischen Ergüssen der Caleigh-Familie auszusetzen.
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